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Einführung 3
Ein paar einleitende Worte zum ersten Kontakt mit dem fachfremden Wissensgebieten des Rechts.
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Lektion1.1
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Lektion1.2
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Lektion1.3
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Berufsrecht 8
Berufsrecht der Apothekenpersonalberufe und Grundzüge der Berufsgerichtsbarkeit
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Lektion2.1
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Lektion2.2
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Lektion2.3
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Lektion2.4
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Lektion2.5
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Lektion2.6
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Lektion2.7
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Lektion2.8
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Apothekenrecht 7
Rund um Apothekenwesen und Apothekenbetrieb
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Lektion3.1
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Lektion3.2
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Lektion3.3
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Lektion3.4
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Lektion3.5
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Lektion3.6
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Lektion3.7
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Apothekenbetrieb 15
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Lektion4.1
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Lektion4.2
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Lektion4.3
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Lektion4.4
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Lektion4.5
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Lektion4.6
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Lektion4.7
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Lektion4.8
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Lektion4.9
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Lektion4.10
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Lektion4.11
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Lektion4.12
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Lektion4.13
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Lektion4.14
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Lektion4.15
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Arzneimittelrecht 5
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Lektion5.1
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Lektion5.2
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Lektion5.3
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Lektion5.4
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Lektion5.5
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Medizinprodukterecht 7
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Lektion6.1
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Lektion6.2
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Lektion6.3
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Lektion6.4
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Lektion6.5
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Lektion6.6
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Lektion6.7
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Sozialrecht 9
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Lektion7.1
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Lektion7.2
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Lektion7.3
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Lektion7.4
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Lektion7.5
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Lektion7.6
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Lektion7.7
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Lektion7.8
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Lektion7.9
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Haftung 5
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Lektion8.1
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Lektion8.2
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Lektion8.3
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Lektion8.4
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Lektion8.5
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Weitere Rechtsgebiete 2
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Lektion9.1
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Lektion9.2
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Lebensmittel oder Arzneimittel?
Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Arzneimitteln und anderen Produkten beschäftigen regelmäßig die Gerichte. Auch bei Lifeplus stellt sich regelmäßig die Frage, ob es sich aufgrund der Produktaussagen aus rechtlicher Sicht wirklich um Nahrungsergänzungsmittel handeln kann.
Relevante Rechtsquellen und Systematik
- Bundesrecht
- Apothekengesetz (ApoG)
- Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO)
- Heilmittelwerbegesetz (HWG)
- Sozialgesetzbuch 5 (SGB V)
- Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung
- Ergänzende Lieferverträge
- Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung
- Apothekengesetz (ApoG)
Übungsfall
Lifeplus ® Produkte sind besonders gut für eine Abgrenzungsübung zwischen Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel geeignet, da ihnen regelmäßig von den Anwendern arzneimittelähnliche Wirkungen zugesprochen werden. Vom Hersteller werden die Produkte als Nahrungsergänzungsmittel klassifiziert und mit dem Hinweis“…für Gesundheit und Fitness aus einigen der besten natürlichen Quellen” Herstellerinformationbeworben. Wir schauen uns repräsentativ das Standardprodukt von Lifeplus ® an:
“Unser Power-Paket ist eine leistungsstarke Mischung aus essenziellen Nährstoffen, die die Gesamtgesundheit gezielt fördern.” Herstellerinformation Daily Plus®Hier finden Sie die komplette Produktbeschreibung des Herstellers.
Vertrieb
Das Produkt wird ausschließlich im Direktvertrieb vom Hersteller vermarktet. Das Konzept beruht jedoch auf dem sog. Empfehlungsmarketing, bei dem Endkunden – eigentlich rechtlich selbständige Gewerbetreibende – Provisionen für auf ihren “Freundschaftsempfehlungen” beruhende Produktverkäufe erhalten. Vereinfacht dargestellt “beraten” Laien – oftmals in den bekannten Tupperwarepartys vergleichbaren Veranstaltungen – zu Produkten, ohne diese selbst zu verkaufen. Über die Angabe einer beraterindividellen Referenznummer bei der Bestellung beim Hersteller, partizipiert der Berater jedoch unmittelbar an den Produktverkäufen. Die beschriebene Vertriebsstruktur macht deutlich, warum eine Abgrenzung – Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel – hier wichtig und notwendig ist. Patientenschäden und Irreführung scheinen beim Empfehlungsmarketing umso wahrscheinlicher, je näher sich die Lifeplus ® Produkte tatsächlich an der Grenze zum Arzneimittel befänden. In diesem Fall wäre die Beratung zu den Produkten durch Laien vermutlich bereits eine strafbare Handlung und der Vertrieb außerhalb von Apotheken unzulässig. Zudem wäre ein Einzelimport – Bestellung durch den Verbraucher bei Lifeplus ® in England (!) – nach § 73 Arzneimittelgesetz verboten. Sofern es sich tatsächlich um bloße Nahrungsergänzungsmittel handeln würde, wäre die Gefahr für Leib und Leben als gering einzuschätzen. Jedoch könnte die Gefahr der Verbrauchertäuschung durch Behauptung eines immer wieder widerlegten Nutzens bestehen (unlängst ist die grundsätzliche Nutzlosigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln in Bezug auf “harte” Gesundheitsparameter wie die Mortalität bewiesen; tendenziell mehr Schaden als Nutzen; vgl. zuletzt Chen F, et al: Ann Intern Med. (online) 9. April 2019.)Arznei- oder Nahrungsergänzungsmittel
Definition Arzneimittel
Vorliegend wichtig ist die sog. Zweifelsfallregelung nach § 2 Abs. 3a AMG:Arzneimittel sind auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 fallen können.
hohes Schutzniveau für hohe Risiken
Diese Vorschrift ist für den vorliegenden Übungsfall so wichtig, weil sofern wir über eine Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmittel entscheiden müssten, das AMG an dieser Stelle vorschreibt, dass ein Lebensmittel, welches zugleich Eigenschaften eines Arzneimittels nach Abs. 1 aufweist, rechtlich als Arzneimittel zu bewerten ist. Damit gelten für entsprechend geartete Produkte alle arzneimittelrechtlichen und angrenzenden Rechtsvorschriften (z. B. Zulassungspflicht und Heilmittelwerbegesetz (HWG)).niedriges Schutzniveau aufgrund niedrigem Gefahrenpotenzials
Der Gesetzgeber fordert für Nahrungsergänzungsmittel kein Zulassungsverfahren und die dafür notwendigen (teuren) klinischen Studien. Sie kommen damit ohne behördliche Prüfung von Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit auf den Markt. Vor Inverkehrbringen müssen Nahrungsergänzungsmittel lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angezeigt werden (sog. Anzeigepflicht). Für die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften ist allein der Hersteller, Händler oder Importeur zuständig. Ausgenommen davon sind lediglich neuartige Lebensmittel. Die Zulässigkeit des Vertriebs außerhalb von Apotheken und die nicht vorhandene fachmännische Beratungspflicht, ergibt sich somit aus der Überlegung der Sicherheit von Nahrungsergänzungsmittel per definitionem – sprich ihrer Wirkungslosigkeit. Physiologische Wirkungen in einer Stärke über des durch eine reguläre Ernährung zu erzielenden Effekts würden ein NEM zu einem Arzneimittel machen.Definition Nahrungsergänzungsmittel
Nach § 1 der Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung (NemV) zählen Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln. Weiterhin müssen folgende Kriterien erfüllt sein:- Ergänzung der allgemeinen Ernährung
- Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung
- in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen.
Zweckbestimmung (Präsentation)
Ähnliche Fälle werden immer wieder vor deutschen Gerichten verhandelt. Zumeist werden unzulässige oder irreführende Produktaussagen von Verbraucherschutzorganisationen oder Wettbewerbszentralen angemahnt. Hersteller verstoßen dabei oftmals gegen die Lebensmittelinformationsverordnung der Europäischen Union, wonach Informationen zu einem Lebensmittel nicht den Eindruck erwecken dürften, dieses sei zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung menschlicher Krankheiten geeignet. Ferner werden auch Verstöße gegen die Health-Claims-Verordnung zur Anzeige gebracht. Diese Vorschrift enthält ein Regelwerk i. S. e. substanzspezifischen Positivliste von gesundheitsbezogenen (Werbe-)Aussagen (sog. zugelassene Healthclaims), die der Hersteller seinen Produkten rechtskonform zuordnen darf. Werden diese Grenzen überschritten, drohen Sanktionen innerhalb des Lebensmittel- und Wettbewerbsrechts. Jedoch können abhängig von den Produktaussagen aus einem Nahrungsergänzungsmitteln in rechtlicher Hinsicht Arzneimittel werden; wie wir bereits gesehen haben mit allen Rechten und Pflichten.Dabei geht es um Produkte, die durch ihre Bezeichnung oder Aufmachung (Werbung) beim durchschnittlich informierten Verbraucher den Eindruck erwecken, dass sie zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Auf die Wirksamkeit des Produktes kommt es für diese Einstufung nicht an. Definition zu Präsentationsarzneimitteln des BfArM
Hersteller
Vorliegend könnte die Zweifelsfallregelung somit ihre Wirkung entfalten. Denn Daily Plus® zählt zu den Nahrungsergänzungsmitteln, jedoch könnte die Präsentation es zusätzlich zu einem Arzneimittel machen, so dass es als solches zu behandeln wäre. Schauen wir uns nochmals die Produktaussage genauer an: Daily Plus® soll“die Gesamtgesundheit fördern”Man könnte durchaus darüber spekulieren, ob damit die Grenze zur Heilbehandlung nicht zumindest berührt wird; explizit wird eine Krankheitsbekämpfung jedoch nicht behauptet. So gehen die meisten Verbraucherschützer derzeit davon aus, dass der Hersteller sich bei der Deklaration und seinen Werbeaussagen rechtskonform verhält. Die Aussage ist so wage und abstrakt, wie es die Aussagen wären, dass Sport oder ein Regenschirm die Gesamtgesundheit fördern. Auch gibt der Hersteller rechtlich einwandfrei wieder, dass seine Produkte keine Effekte über die einer normalen Ernährung hinaus haben. Denn die folgende Aussage ist absolut korrekt, und kann ohne ergänzende Mittel durch eine Ernährungsumstellung korrigiert werden:
Durch eine ausgewogene Ernährung, die reich an Obst, Gemüse, Zerealien, Milchprodukten und Fisch ist, wird dem Organismus eine optimale Nährstoffkombination zugeführt. Leider fehlt vielen Menschen oft entweder die Zeit oder das Verständnis hierfür, und eine unausgewogene Ernährung führt dazu, dass der Körper nicht in ausreichendem Maße mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen versorgt wird. Herstellerinformation Daily Plus®Im Ergebnis verhält sich der Hersteller in Bezug auf Klassifizierung seines Produktes und den Vertriebsweg rechtskonform.
Empfehlungsberatung
Das rein praktische Problem wofür Lifeplus ® auch immer wieder in der Kritik steht, ist dass die Produktempfehlungen durch Laien vorgenommen wird, die an den Produktverkäufen partizipieren. Der Anreiz zur Umsatzsteigerung ist aufgrund des Provisionsmodells mit seinem “Tiefenbonus” enorm. Der Hersteller stellt seinen Kunden regelmäßig “finanzielle Freiheit” i. V. m. dem Gefühl “etwas Gutes zu tun” in Aussicht (Presseartikel hier). Ein solcher Anreiz dürfte in der Realität regelmäßig dazu führen, dass die gesetzgeberisch gesetzten Grenzen insbesondere in Bezug auf die zulässigen Aussagen zu gesundheitlichen Effekten der per Definition wirkungslosen Nahrungsergänzungsmittel durch die fachlich und arzneimittelrechtlichen Laien deutlich überschritten werden. Dabei muss es sich nicht zwingend um Vorsatz handeln, jedoch werden so Verbraucher getäuscht und möglicherweise geschädigt. Die Berater würden sich ihrerseits bei Überschreitung der zulässigen Werbeaussagen regelhaft gegen Verstöße im Bereich des Heilmittelwerbegesetzes und wegen unlauterem Wettbewerbs verantworten müssen, da in diesen Fällen von einem Präsentationsarzneimittel auszugehen wäre. Das wahre Problem des Empfehlungsmarketings für Nahrungsergänzungsmittel liegt somit in der mangelnden Abgrenzung zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel in den “Beratungsgesprächen”. Der Hersteller verschärft dieses Problem durch seine Vertriebsstruktur und stiehlt sich regelhaft aus der Verantwortung, da er sich darauf zurückzieht, dass er nicht kontrollieren könne, was seine Berater in den Gesprächen behaupten (vgl. hier). Dieses Problem haben aber auch unsere Aufsichtsbehörden.Ergebnis
Solange niemand Nahrungsergänzungsmitteln (hier Lifeplus) Wirkungen zuschreibt, die über die einer normalen Ernährung hinausgehen, gibt es rechtlich wenig Probleme. In diesem Fall ist es den Verbrauchern selbst überlassen sich gesund zu ernähren oder ihr Gewissen mit NEMs zu beruhigen. Einen Nutzen kann und darf ein Verbraucher jeder nicht erwarten. Sobald eine Erwartungshaltung beim Verbraucher über eine nennenswerte gesundheitliche Wirkung eines NEMs geweckt wird, wird die Grenze zum Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht zumindest getestet; zumeist überschritten.
Weiter
Gefahrstoffrecht